Gesundheits-Start-ups: "Must-Have"-Lösungen im Vorteil

Dr. Aline VedderDr. Aline Vedder

Investment Manager
Ananda Ventures GmbH
München

 

Frau Dr. Vedder, Sie arbeiten als Investment Manager für die Ananda Ventures GmbH, die europaweit in early-stage Start-ups investiert. Was genau ist Ihre Aufgabe?

Wir sind ein Venture Capital Fonds, der sich auf Impact Unternehmen spezialisiert hat. Wir investieren in Start-ups, die kurz nach der Geschäftsgründung stehen und oft auch bereits erste Umsätze machen, aber am Markt nicht so etabliert sind wie die großen Unternehmen. Die Prämisse ist, dass sie nicht nur Geld verdienen, sondern im Kern auch einen positiven gesellschaftlichen Mehrwert haben. Wir investieren aber nicht nur aus idealistischen Gründen in Impact Start-ups, sondern weil wir fest davon überzeugt sind, dass diese Unternehmen sich mit den spannendsten Geschäftsfeldern und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zukunft befassen.

Ein Bereich ist AgeTech. Das ist nicht nur ein stetig wachsender Markt, sondern die alternde Gesellschaft stellt uns auch vor große gesellschaftliche und ökonomische Herausforderungen. Gesellschaftliche Inklusion ist hier ein Thema und die Sicherstellung von Pflegeleistungen für ältere Menschen ein anderes, das uns sehr interessiert. Daneben gibt es aber auch noch andere Investmentfelder, in denen wir uns bewegen. Wir sehen uns den Gesundheitsbereich sehr genau an und haben mit Mika, Caspar Health oder Ieso Health bereits in eine Reihe von digitalen Gesundheitsunternehmen investiert. Wir interessieren uns weiterhin z.B. auch für den Bildungsbereich und investieren in Educational Technology. Ein weiterer Schwerpunkt ist Nachhaltigkeit.

Wie entdecken Sie Start-ups, die nicht nur das Kriterium „Gesellschaftlicher Impact“ erfüllen, sondern auch Marktchancen haben?

Wir investieren seit zehn Jahren in Impact Start-ups und verfügen über ein großes Netzwerk. Viele Unternehmer, in die wir früher investiert haben, investieren inzwischen selbst oder stellen uns Gründer aus ihrem Netzwerk vor. Wir suchen reaktiv und proaktiv nach neuen Themen. Das heißt: Gründer melden sich bei uns, aber wir gehen auch auf Unternehmen zu, halten Vorträge, gehen auf Konferenzen, geben Interviews, um uns zu Themen zu positionieren und betreiben regelmäßig Market Research zu Themen wie AI in der Medizin, Nachhaltigkeit in der Supply Chain oder auch Agritech. Wenn wir spannende Kandidaten mit einem interessanten Pitch-Deck entdecken, laden wir das Unternehmen zum persönlichen Kennenlernen ein. Wenn dieses auch überzeugt, steigen wir in eine Phase der ersten vorläufigen Due Diligence ein:

  • Wie sieht der Impact aus?
  • Wie sieht das Geschäftsmodell aus?
  • Sind die Gründer die richtigen?
  • Ist das Geschäftsmodell nachhaltig?
  • Wie groß ist der Markt, in dem das Problem gelöst werden soll?
  • Wie verteidigbar ist die Lösung?
Wer hat bei Ihnen eine Chance?

Der gesellschaftliche Impact muss der Kern des Geschäftsmodells sein und nicht nebenherlaufen. Die Unternehmen, die wir spannend finden, skalieren, WEIL sie einen Impact haben. Ein gutes Beispiel ist Mika, ein digitaler Begleiter für Krebspatienten. Dieser funktioniert nur dann, wenn die Krebspatienten auch den Mehrwert sehen, das Produkt tatsächlich zu nutzen und die Nutzung der App letztlich zu ihrem Wohlbefinden beiträgt. Die Kosten trägt dabei nicht der Patient, sondern die Krankenkasse. Ohne Impact würde das Geschäftsmodell nicht funktionieren und andersherum.

Wenn man sich Ihr Portfolio ansieht, fallen die zahlreichen Start-ups im Bereich Digital Health ins Auge. Wie würden Sie Laien die Vorteile neuer digitaler Technologien im Gesundheitsbereich erklären?

Digital Health bedeutet, digitale Technologien zu nutzen, um die Gesundheitssituation von Patienten zu verbessern. Der Patient wird in den Mittelpunkt gerückt und ihm eine Möglichkeit an die Hand gegeben, sich aktiv besser um seine Gesundheit zu kümmern. Das kann z.B. eine App wie Mika sein, wo Krebspatienten seriöse, aber verständliche und lebenspraktische Inhalte zu ihrer Krankheit finden und ihre Symptome tracken können. Ein anderes Beispiel aus dem Bereich Rehabilitation ist Caspar Health. Caspar hat die Nachsorge in der Rehatherapie in digitale Inhalte übersetzt, sodass der Patient nicht mehr zu einer bestimmten Zeit zur Nachsorge fahren muss, sondern zu einer Zeit seiner Wahl über Handy oder Tablet Reha-Übungen machen kann. Das kann für wenig mobile oder berufstätige Patienten eine große Erleichterung sein. Denkbar sind aber auch Lösungen im systemischen Bereich: Wie kann man Prozesse im Krankenhaus durch digitale Lösungen effizienter und besser machen, wie stellt man sicher, dass Ärzte weniger unter Druck stehen und sich besser um ihre Kernaufgaben kümmern können? Wie kann man Pflegepersonal entlasten?

Was sind Ihrer Ansicht nach „must have“ solutions im Vergleich zu „nice to have“?

Ich glaube, die grundsätzliche Herausforderung bei digitalen Gesundheits-Start-ups ist es, zum „Must-have“ zu werden: Wie kann man die unterstützen, die die Anwendung am dringendsten brauchen, also chronisch Kranke, Ältere oder Menschen, die nicht so gut über ihre Erkrankung aufgeklärt sind, weil sie sich beim Arzt nicht trauen zu fragen, woher ihr gesundheitliches Problem kommt oder was eine bestimmte Diagnose für sie bedeutet. Dagegen fallen „Nice-to-have“-Lösungen eher in den Wellnessbereich.

Sind wir in Deutschland auf die Veränderungen des Gesundheitssektors vorbereitet, wenn man zum Beispiel an die technischen Voraussetzungen von Praxen und die Digitalkompetenz von Ärzten oder Patienten denkt? Wo besteht noch Handlungsbedarf?

Wir haben bei Ananda gesehen, dass es durch die Covid-Krise bei der Telemedizin einen großen Aufschwung gegeben hat, sowohl bei den Start-ups als auch auf Seiten von Kliniken und Ärzten. Es ist erstaunlich, wie diese sich geöffnet haben, einfach aus der Not heraus. Auf Patientenseite ist das Bewusstsein auch ein ganz anderes.

Zudem gibt es ja seit kurzem das digitale Versorgungsgesetz, wo Apps erstmals auf Rezept vergütet werden können. Das ist ein großer Schritt fürs Gesundheitssystem. Digitale Gesundheits-Technologien haben nun die Möglichkeit, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das nicht der Patient finanziert, sondern das regulatorisch erstattet und damit vom Gesundheitssystem getragen wird. Da gibt es natürlich noch viele offene Fragen, zum Beispiel welchen Preis eine App abrufen kann und welche medizinische Evidenz nach einem Jahr ausreicht, damit dieser Preis gerechtfertigt ist. Das ist für uns als Investoren eine sehr spannende Entwicklung. Wir müssen sehen, dass die Lösungen den Patienten nicht nur helfen, sondern auch wie sie sich finanzieren.

Es stimmt uns positiv zu beobachten, wie schnell sich manche Themen entwickeln. Bislang waren wir durchaus skeptisch, weil wir auch die Lebensrealität von Ärzten kennen. Den meisten Ärzten fehlt die Zeit, sich beispielsweise mit der Vielzahl von App-basierten Gesundheitslösungen zu befassen. Da helfen regulatorische Prozesse, die Qualitätskriterien definieren. Dazu gehört zum Beispiel die Auflage, zu einem bestimmten Zeitpunkt ein RTC (randomized control trial) vorzulegen, das zeigt, dass das Produkt medizinisch funktioniert. Es wird noch Anlaufzeit brauchen, aber das, was dem Patienten hilft und was der Patient verlangt, wird sich durchsetzen. Da ist viel Potenzial.

Als Initiatoren des SENovation-Awards liegen uns natürlich Start-ups besonders am Herzen, die sich in irgendeiner Form mit der alternden Gesellschaft beschäftigen. Wo sehen Sie hier neben dem Digital-Health-Bereich das größte Potenzial?

Wir sehen großes Potenzial in der Pflege, auch in der ambulanten Pflege. Als Beispiel kann ich Talea nennen, die sich damit beschäftigen, die Situation von Pflegepersonal und damit auch die Situation von Pflegebedürftigen zu verbessern: Wie lassen sich Krankheitsausfälle bei Pflegekräften besser auffangen oder lange Anfahrtswege besser strukturieren? Wie können Pflegebetriebe ihr Personal besser managen und unterstützen? Das ist nach wie vor ein großes Thema, das noch nicht gelöst ist. Dasselbe gilt für niedrigschwellige Pflege, die durch Angehörige geleistet wird. In Deutschland sind Angehörige die größte Pflege-Task-Force, die es gibt. Da braucht es noch viele Antworten: Wie kann man Älteren noch bessere Unterstützung bieten? Wie kann man Menschen dafür gewinnen, sich in der niedrigschwelligen Pflege zu engagieren, also nicht-medizinische Aufgaben zu übernehmen, wie z.B. Einkaufen. In diesem Bereich ist das Start-up Careship bei uns aktiv.

Umfragen unter Älteren zeigen: Ein großes Thema ist Mobilität. Wie schätzen Sie hier den Status Quo ein?

Im Bereich Mobilität sehen wir viele Hardware-Lösungen, die in Richtung „Monitoring“ gehen, also z.B. Lampen, die anzeigen, ob der oder die Angehörige morgens aufgestanden ist, bestimmte Wege zurückgelegt hat oder es gar zu einem Sturz kam. Das Problem hierbei ist, dass die meisten Startups bei einer bestimmten Größe hängenbleiben. Bei Wearables kommt hinzu, dass diese oft nicht über einen längeren Zeitraum getragen werden. Wir haben hier noch nicht das Geschäftsmodell gesehen, das sich durchgesetzt hat. Das hängt auch damit zusammen, dass der Vertrieb nicht ganz einfach ist. Viele Startups versuchen, an den Endkonsumenten zu verkaufen, was schwierig ist, weil die Lösungen oft nicht günstig sind. Andere versuchen, an Pflegeheime oder Immobilienunternehmen zu verkaufen. Auch da ist der Weg oft steinig, weil die Zahlungsbereitschaft nicht immer gegeben ist. Hinzu kommt, dass viele Ältere gar nicht überwacht werden wollen. Sie möchten nicht, dass bei ihren Angehörigen auf einer App erscheint: „Ist aufgestanden“, „Hat den Raum verlassen“… Wir haben noch nicht das Produkt gesehen, das von allen Parteien angenommen wird und das Geschäftsmodell hat, in das wir investieren würden. Wir sind aber gespannt, was sich in diesem wichtigen Bereich in Zukunft tun wird.

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