Virtual Reality auch für Ältere nutzbar

Irina rund
Irina Shiyanov

Gründerin und Geschäftsführerin, VirtuaLounge, Braunschweig

Frau Shiyanov, was hat Sie dazu bewogen, mit der Gründung der VirtuaLounge den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen?

Vor etwa vier Jahren haben wir bei einem Entwickler-Team in Hamburg zum ersten Mal Bekanntschaft mit Virtual Reality gemacht. Das war ein sehr intensives Erlebnis. Wir fanden, es müsse einen Ort geben, an dem auch Menschen, die nicht so technikaffin sind wie wir, an dieser Technologie teilhaben können.

Bei Virtual Reality denkt man vor allem an temporeiche Action für junge Leute. Wie kamen Sie auf die Idee, Programme für Senioren wie VRalive anzubieten?

Als unsere Pläne konkreter wurden und wir uns die notwendige Technik zugelegt hatten, demonstrierten wir die VR-Erlebnisse in der Familie. Meine Oma und meine Mutter fanden das besonders toll. Sie gehören ja einer ganz anderen Generation an und kommen erst durch Kinder und Enkel mit neuen Technologien in Berührung. Das brachte uns auf die Idee, auch ein Produkt für Senioreneinrichtungen zu entwickeln.

Vor der Eröffnung der VirtuaLounge sind wir viel in die Öffentlichkeit gegangen und haben den Leuten die Technik vorgeführt. Bei diesen Promo-Aktionen ist uns aufgefallen, dass sich ganz unterschiedliche Altersgruppen für unsere VR-Events interessiert haben. Das lag natürlich auch daran, dass wir keine Ballerspiele vorgestellt hatten, sondern Erlebnisse, die großen Eindruck hinterlassen, zum Beispiel das Unterwasser-Erlebnis oder das Schweben auf einer Raumstation. Das sind Erlebnisse, die man im normalen Leben nicht so einfach haben kann.

Woher bekommen Sie die Technik?

Die Technik und die Software kaufen wir ein. Allerdings stehen Senioren bei den Spielemachern nicht im Fokus. Es gibt einige Erlebnisse, die auch für Senioren schön sind. Aber unser Ziel ist es, mithilfe bestehender Technik eigene Erlebnisse zu entwickeln.

Welche Art von VR-Erlebnissen eignet sich für Ältere?

Im Rahmen unseres Forschungsprojekts („Förderung der sozialen Interaktion & Teilhabe durch kognitive Aktivierung mithilfe virtueller Umgebungen“), das wir zusammen mit dem Institut für Psychologie und dem Institut für medizinisches Marketing an der TU Braunschweig durchführen, wollen wir zunächst Anwendungen wie den virtuellen Tauchgang im Korallenriff und andere Reisen nutzen. Diese Anwendungen kann man kaufen. Wir wollen aber auch kognitiv-aktivierende Erlebnisse erstellen, die einen bestimmten gesundheitlichen Nutzen haben sollen, etwa die Förderung der Selbstständigkeit. Vorstellbar ist zum Beispiel ein virtueller Garten, den man pflegen kann. Wir glauben, dass man durch die Aktivierung der Selbstständigkeit in der virtuellen Welt, zum Beispiel sich um einen Garten zu kümmern, auch die Aktivität in der realen Welt fördern kann.

Das haben Workshops zu diesem Thema mit einer interdisziplinären Gruppe aus Psychologen, Altenpflegern, Physiotherapeuten, Medizinern und IT-Experten ergeben. So berichten Altenpfleger, dass Bewohner oft rasch nach dem Umzug in die Pflegeeinrichtung an Selbstständigkeit verlieren, weil sie nicht ausreichend gefordert werden. Dadurch lässt wiederum mit der Zeit auch die Interaktion zwischen den Bewohnern nach. Vor allem den Mangel an neuen geistigen Eindrücken wollen wir mit der VR-Technik angehen. Die Menschen sollen etwas Besonderes erleben, über das sie sich dann austauschen können. Ziel des Forschungsprojekts ist es herauszufinden, mit welchen VR-Erlebnissen man dies am besten erreichen kann. Eine Fragestellung ist, ob man die Senioren bei den Erlebnissen ganz aus der realen Welt herausholen sollte, oder ob sich Mixed Reality (siehe Glossar) besser eignet. Auch wollen wir untersuchen, inwieweit eine aktive Interaktion über kleine Bewegungen möglich ist.

Sie bieten das Seniorenprojekt VRalive hin und wieder in Seniorenresidenzen an. Wie ist die Resonanz?

Die Erfahrungen sind sehr positiv. Das Schöne ist ja: Auch Senioren, die nicht mehr mobil sind, können mitmachen, da man die virtuellen Ausflüge im Sitzen durchführt. Manche Teilnehmer stehen aber sogar auf und bewegen sich etwas. Andere gucken erst einmal am Fernseher zu, den wir mitbringen, und trauen sich erst später, die VR-Brille selbst einmal aufzusetzen. Letztendlich trauen sich alle. Wir hatten noch nie negative Rückmeldungen, weder von den Senioren, noch vom Pflegepersonal.

Unser Ziel ist es, irgendwann eine einfache und kabellose Lösung anzubieten, damit die Brillen nicht zur Stolperfalle werden.

Viele ältere Menschen haben Probleme mit Schwindel. Ist das bei den VR-Erlebnissen kein Thema?

Das kommt auf die Erlebnisse an und hat gar nicht so viel mit dem Alter zu tun. Bei Achterbahn-Erlebnissen kann es zu Schwindel kommen. Denn visuell bewegt man sich, aber der Gleichgewichtssinn sagt, dass man sitzt. Diese Diskrepanz kann dazu führen, dass es zur so genannten motion sickness kommt. Bei Erlebnissen ohne fahrende oder fliegende Bewegung besteht diese Gefahr nicht, und bei Senioren achten wir natürlich darauf.

Kommen ältere Menschen für ein VR-Erlebnis auch zu Ihnen in die Lounge?

Ja, wir hatten schon 60. oder 70. Geburtstage bei uns. Ein älterer Herr kommt regelmäßig zu uns, um auf der Internationalen Raumstation zu schweben. Er bringt immer einen oder zwei seiner Freunde mit. Er ist schon Stammkunde bei uns.


Glossar:

Augmented Reality (Erweiterte Realität): Man bewegt sich in der realen Welt, erhält aber über eine entsprechende Brille zusätzliche Informationen. Das kann zum Beispiel ein Hinweis darauf sein, dass in der Straße, in der man gerade entlanggeht, eine Wohnung frei ist.

Mixed Reality: Man bewegt sich in der realen Welt, die durch virtuelle Eindrücke ergänzt wird – so laufen zum Beispiel virtuelle Tiere darin herum.

Virtual Reality: Hier ist man komplett von der computergenerierten Welt umgeben.

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