Partizipative Entwicklung hat Zukunftspotenzial

Chip Conley credit: Lisa KeatingDr. Mario Geißler

Geschäftsführer Q-HUB, Chemnitz

Dr. Mario Geißler ist Geschäftsführer des Q-HUB Chemnitz. Zuvor war er Juniorprofessor für Entrepreneurship an der TU Chemnitz mit Forschungsschwerpunkten in den psychologischen Grundlagen des Gründungsprozesses und der Entwicklung von Startup Ökosystemen. Mittlerweile berät er etablierte Unternehmen bei der Kooperation mit Startups, der Entwicklung strategischer Innovationsprozesse und neuer Geschäftsmöglichkeiten. Vor diesem Hintergrund ist es sein Ziel, in der Region Chemnitz ein AgeTech-Ökosystem aufzubauen, das Gründern und etablierten Unternehmen hilft, marktnah ihre Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und am Nutzer zu verproben.

Eine Ihrer Initiativen ist das AgeTech Bootcamp in Chemnitz, das sich mit Innovationen für die Bevölkerungsgruppe 60plus beschäftigt. Was interessiert Sie an der älteren Zielgruppe, und was spricht aus Ihrer Sicht dafür, sich als junger Gründer gerade in diesem Bereich zu engagieren?

Es steht außer Frage, dass der Bevölkerungsanteil älterer Personen in Zukunft deutlich und kontinuierlich steigen wird. In Chemnitz ist heute beispielsweise jeder zweit Einwohner 50 oder älter, knapp ein Drittel der Einwohner ist älter als 60 Jahre. Dieser Wandel bringt eine Menge Herausforderungen mit sich, gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen. Daher lohnt es sich schon einmal gesellschaftlich, dieses Thema intensiver anzugehen. Wirtschaftlich sinnvoll wird es, wenn man sich einmal der Vermögensverteilung in der Gesellschaft bewusst wird. So verfügt die Altersgruppe 55 bis 74 Jahre über die größten individuellen Nettovermögen. Einschränkend muss man dabei sagen, dass die Streuung mit dem Alter auch steigt, das heißt, während die Vermögensverhältnisse bei jüngeren Gruppen recht ähnlich sind, werden sie mit steigendem Alter ungleicher. Ein Argument, das dafür spricht, seine Zielgruppe bestmöglich im Blick zu haben. Für eine klare Nutzerfokussierung sprechen auch Ergebnisse aus der Psychologie. So zeigt sich, dass Unterschiede in den Erwartungen, Einstellungen und der kognitiven Leistungsfähigkeit im Alter zunehmen.

Beim AgeTech Bootcamp tauschen sich nicht nur Gründer und Experten über die Bedürfnisse der älteren Zielgruppe aus, sondern die Älteren sind selbst mit dabei. Warum ist das wichtig, und welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Ich erlebe immer wieder, dass Gründer ihre Ideen weit weg vom Nutzer und damit auch vom Markt entwickeln. Das heißt, sie haben eine Idee und beginnen, an dieser zu tüfteln und sie nach bestem Wissen und Gewissen umzusetzen. Häufig in ihrem Büro oder ihrer Werkstatt. Leider vergessen sie dabei, die Kunden und letztendlichen Nutzer einzubeziehen. Im Resultat haben wir dann bestenfalls mittelmäßige Produkte, die nicht selten sogar am wirklichen Kundenbedarf vorbeigehen. Damit ist niemandem geholfen. Daher setzten wir bei Startup- und Innovationsprojekten eine kundenzentrierte Denkweise in den Mittelpunkt. Uns treibt dann die Frage „Was nützt es dem Kunden?“ Das heißt, es soll vom Kunden und seinen Bedürfnissen her gedacht werden. Gerade bei der Altersgruppe 60plus, die ja so heterogen und häufig so fernab der Lebensrealität der Gründer ist, ist es essenziell, den letztendlichen Kunden und wirklichen Nutzer bei der Entwicklung einzubinden. Wir lernen so, wie Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden können, die wirklich nützen, wirklich genutzt werden und damit auch wirklich wertstiften sind.

Viele Gründer haben aber Probleme, offen an die Zielgruppe heranzutreten. Deshalb war es für uns wichtig, die Zielgruppe bestmöglich einzubinden und den Startups den Zugang zu erleichtern. Und was soll man sagen, die Älteren haben wirklich Spaß dabei und großes Interesse. Sie freuen sich, Feedback geben zu dürfen und dass jemand sie in die Entwicklung einbezieht. Wir sehen gerade im Thema partizipative Entwicklung eine große Notwendigkeit mit viel Zukunftspotenzial.

Wie gründungsfreundlich ist Deutschland: Welche Hürden sind für Gründer besonders hoch? Haben Sie zum Abschluss ein paar Tipps?

Ich könnte an dieser Stelle in das gleiche Horn wie viele Experten stoßen und mich über die fehlende Gründungskultur auslassen. Aber ich bin der festen Meinung, dass wir in Deutschland mittlerweile zahlreiche Orte geschaffen haben, die Gründer in den Mittelpunkt stellen. Auch gibt es verschiedene Förderinstrumente, die darauf abzielen, Gründer zu unterstützen. Ich selbst bin in der Jury von mehreren Wettbewerben und Förderungen. Immer wieder bemerke ich hier, dass Gründer sehr technisch und verkopft denken und es nicht schaffen, sich in ihren Kunden hineinzuversetzen. Auch wollen Deutsche Gründer selten wirklich Großes erreichen. Ich komme kaum mit Gründern in Kontakt, die groß denken. Das finde ich schade, da die Ideen mitunter mehr zulassen würden. Ich sehe eine große Herausforderung in der Verbindung etablierter Unternehmen, von vielen auch als Old Economy bezeichnet und Startups. Hier fehlt es häufig an gegenseitigem Verständnis und gemeinsamen Strategien. Gerade in der mittelständisch geprägten Wirtschaft. Auf der anderen Seite sehe ich, dass sich etablierte und junge Unternehmen bei gleichen Themen wiederfinden können und dann auch Synergiepotenziale entdecken. Mit Blick auf das Thema Alter und Startups sehe ich große Herausforderungen bei Regularien und etablierten Systemen, wie bspw. Krankenkassen. Mitunter werden nutzbringende Ideen von vornherein verworfen, nur weil sehr früh gesagt wird, dass diese niemals von einer Kasse übernommen werden können. Hier wird es schnell sehr komplex und Nutzer und Käufer fallen auseinander. Auch gibt es in dem Feld große rechtliche Herausforderungen, wie beispielsweise dem Datenschutz. Eine erfahrene Unternehmerin hat mir erst neulich berichtet, dass sie einen sechsstelligen Betrag in Rechtsgutachten investiert hat. Wie soll das ein Gründer stemmen? Möchten wir hier vorankommen, braucht es die Vernetzung vieler Themen. Dabei ist der Kundennutzen der Anfang und notwendige Bedingung, aber noch lange nicht hinreichend, um Erfolg zu haben. Wir empfehlen daher immer, sich zu vernetzen und über die Idee zu sprechen. Eine gute Gelegenheit sind dafür natürlich Gründerwettbewerbe. Ich habe schon viele Gründer kennengelernt, die so wichtige Partner gewinnen konnten. Das ist am Ende des Tages meist mehr wert, als das eigentliche Preisgeld.

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