"Agetech" bringt relevante Akteure zusammen

Peter KaldesDr. Anke Caßing

Principal / Prokuristin Hightechgründerfonds HTGF

Wie bewertest Du den Trend der Märkte für ältere Menschen grundsätzlich?

In Deutschland und vielen Industrienationen sprechen wir vom demografischen Wandel. Einerseits wächst mit der alternden Bevölkerung der Markt für Produkte und Lösungen, die sich an diese Zielgruppe richten. Viele möchten einen aktiven Lebensstil beibehalten und verfügen auch über die Mittel, um Produkte zu kaufen, die ihre Lebensqualität verbessern. Andererseits stellt der demografische Wandel die Gesellschaft vor große Herausforderungen, und ich glaube, dass Innovationen eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung dieser Herausforderungen spielen werden.

Nicht jede Erfindung oder jedes Start-up in diesem Bereich wird erfolgreich sein. Um erfolgreich zu sein, müssen neue Ideen ein echtes Problem lösen. Die Produkte müssen auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sein. Wichtig ist ein tragfähiges Geschäftsmodell, denn jemand muss für die neuen Produkte oder Services zahlen.

Hier gibt es meines Erachtens die Besonderheit, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Produkte für ältere Menschen von Dritten gekauft werden. Nutzer und Käufer sind nicht identisch und in der Vermarktung eines solchen Produktes haben wir es mit mehreren Stakeholdern zu tun. Ein einfaches Beispiel: Erwachsene Kinder kaufen Produkte oder Services für ihre Eltern. Komplexer wird es bei Healthcare Produkten, hier wählt ein Arzt das Produkt aus, das Sanitätshaus ist der eigentliche Verkäufer und die Krankenkasse übernimmt die Kosten.

Der Anwender des Produktes kann eine Pflegekraft sein und im Kern sollte es ja um die Verbesserung der Lebensqualität eines älteren Menschen gehen. Viele gute Ideen scheitern, weil sie nicht alle Interessengruppen ausreichenden berücksichtigen und deren Anforderungen nicht erfüllen können. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade der Gesundheitsmarkt sehr reguliert ist und es viele Markteintrittsbarrieren gibt.

Aus Sicht eines Risikokapitalinvestors beobachte ich, dass viele Gründerinnen und Gründer sich noch nicht ausreichend mit älteren Menschen als Zielgruppe auseinandersetzen. Viele zählen nicht zur älteren Bevölkerung oder möchten sich noch nicht dazuzählen. Daher nehmen sie eine andere Perspektive ein und entwickeln Ideen, die mehr auf ihre eigenen Lebenserfahrungen zugeschnitten sind. Es gibt aber auch Gründer:innen, die, beispielsweise als Enkelkinder, auf sehr smarte Ideen kommen, die sie dann erfolgreich in den Markt bringen.

Hat der HTGF schon in dem Feld investiert?

Als Seedinvestor, der sehr früh in Start-ups investiert, erzielen wir unsere größten Erfolge, wenn wir frühzeitig auf Zukunftsthemen setzen. Wir haben beispielsweise schon vor 15 Jahren in ESG-Software investiert. Wir haben auch schon in agetech investiert, ohne das vielleicht direkt so zu benennen. Beispielsweise in Biotech-Unternehmen, die Therapien gegen Alterskrankheiten oder degenerative Erkrankungen entwickeln. Wir haben jedoch auch erlebt, dass Produkte, die speziell auf die Zielgruppe Senioren zugeschnitten waren, nicht vom Markt angenommen wurden. Ich denke, dass viele nicht unbedingt mit dem Thema Altern konfrontiert werden möchten.

Glaubst Du, „agetech“ hat das Zeug zu einem Markt / Portfoliofokus / Branche?

Der durch den demografischen Wandel wachsende Markt und die gesellschaftlichen Herausforderungen sprechen dafür. Allerdings gelten im Healthcare Markt durch die notwendige Produktzulassung und die oft komplizierten Vorgaben für die Kostenerstattung besondere Regeln. Gerade im Biotech-Bereich mit seinem besonderen Risikoprofil erwarte ich, dass sich andere Investoren engagieren als beispielsweise bei proptech Themen. Dennoch gibt es gute Gründe, die für die Entstehung eines Bereich agetech sprechen. Die Zielgruppe ist groß genug und sie hat besondere Eigenschaften, die ein eigenes Netzwerk oder gar Start-up Ökosystem sinnvoll machen. Der Begriff „agetech“ ist dann sehr hilfreich, um die relevanten Akteure zusammenzubringen.

Um ein Beispiel zu nennen: Sustainability ist heute in aller Munde, und es entsteht eine eigene Branche. Das ist auch nötig, denn wir stehen hier vor epochalen Herausforderungen. Aber vor 10 Jahren sprachen wir alle über aufregende Start-ups in den Bereichen Digital Tech, Chemistry oder Energy.

Ist es für Teams einfacher in/über etablierte Branchen zu gründen oder ist der neue Ansatz erfolgversprechender?

Ich denke, der Kern jeder Gründung sollte ein neuartiger Lösungsansatz für ein bisher unbefriedigtes Kundenbedürfnis sein. Das sagt sich leichter als es ist. Denn was war denn nun das Kundenbedürfnis für Google? Sicherlich nicht auf einer Internetseite mit Überschrift und Kurzbeschreibung zehn Vorschläge für jedes beliebige Stichwort zu erhalten. Das war eher der Wunsch nach leicht zugänglichen Informationen.

Gründungsteams sollten sich überlegen, wie sehr sie außerhalb des Mainstreams agieren möchten. Es ist nicht jedermanns Sache, gleich alles auf den Kopf zu stellen und wie Larry Page und Sergey Brin von Google die Wissensbeschaffung zu revolutionieren und noch ein Betriebssystem für Smartphones nachzuschieben. Auch diejenigen, die z. B. mit einer digitalen Lösung konkret die Pflege älterer Menschen verbessern und ihr Geschäftsmodell gut an die Marktgegebenheiten anpassen, können sehr erfolgreich sein.

Was sind Deine Tipps für einen guten Pitch?

Bringt es auf den Punkt: Welches Problem wollt Ihr lösen, wie werdet Ihr das tun und warum werdet gerade Ihr diesen Ansatz zum Erfolg führen? Die Herausforderung besteht darin, in einer begrenzten Zeit, Interesse zu wecken und die wichtigsten Fragen eines Investors zu beantworten. Probiert Euren Pitch aus. Beim HTGF bieten wir Onlineseminare zum Thema Pitch und zur Investorenansprache an. Regelmäßig veranstalten wir Virtual Pitch Sessions, in denen unsere Investmentmanager:innen Feedback geben. Auch unsere Pitch Days sind eine hervorragende Plattform, um Eure Idee und Euch vorzustellen.

Probiert es aus und seid mutig!

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